Eine Anleitung zur Remission

Alternativer Titel: "Was sind beta-Zellen und warum sind sie wichtig?"

1. Einleitung

Die meisten Katzen mit Diabetes leiden unter Typ II dieser Krankheit. Dies bedeutet, dass solche Katzen zum Zeitpunkt der Diabetes-Diagnose nicht mehr genug von ihrem eigenen Insulin produzieren können. Die Ursachen für den Diabetes sind unterschiedlich: Übergewicht, Diät, Kortison-Behandlung, usw.

Die Zellen die für die Insulinproduktion verantwortlich sind befinden sich in der Bauchspeicheldrüse und heißen beta-Zellen. Je länger diese Zellen kein Insulin produzieren, umso mehr verändern sie sich ("Amyloide" lagern sich ab) und umso unwahrscheinlicher ist es, dass sie je wieder genug eigenes Insulin produzieren werden.

Man würde denken, dass diese Zellen bei hohen Blutzuckerwerten sich anregen lassen würden, mehr Insulin zu produzieren. Aber merkwürdigerweise ist das Gegenteil der Fall. Diese Zellen leiden so unter den hohen Blutzuckerwerten (der "Glukose-Toxizität"), dass sie sich weigern überhaupt noch etwas zu tun.

Aus diesem Grund ist es wichtig, ein Umfeld für die beta-Zellen zu schaffen das sie "glücklicher" macht und es so möglicherweise zu einer Remission kommen kann. Faktoren die hier eine wichtige Rolle spielen sind wie folgt.

2. Faktoren die eine Remission begünstigen

  • Lantus: Lantus ist das am längsten wirkende Insulin was heute für Katzen erhältlich ist. Es wirkt nicht nur lange, sondern auch sanfter als z.B. Caninsulin, PZI, usw. Eine Studie von 2005 die Lantus, PZI und Lente Insulin in neu diagnostizierten Katzen untersucht hat fand grosse Unterschiede bei den Remissionsraten. Wir konnten in einer Forums-Studie (die bei einem veterinärmedizinischen Fachkongress 2009 vorgestellt wurde) zeigen, dass Levemir diese guten Eigenschaften mit Lantus teilt.
  • Eine Diät die ausschließlich aus hoch-qualitativem Nassfutter oder Rohfutter besteht: hoher Protein-Anteil/extrem niedriger Kohlenhydrat-Anteil. Ausgewogenes Rohfutter ist auch eine gute Alternative.
  • Einen Insulin-gerechten Fütter-Rhythmus: Lantus wirkt lange und relativ gleichmässig, also sind viele kleine Mahlzeiten pro Tag besser als 2 große.
  • Eine angemessene Startdosis von Insulin: hier vertrete ich 0,25 IE/kg BID (zwei Mal pro Tag). Manche Katzen brauchen aber eine höhere Startdosis. Eine weitere Ausnahme zu dieser Regel wäre eine Katze die mit einer niedrigeren Menge Caninsulin öfters 100er Nadire hatte. Hier würde ich die niedrigere Caninsulin-Dosis nehmen.
  • Anhebung der Dosis: wenn nötig, eine konsequente Anhebung der Dosis um 0,25 bis 0,5 IE um gute Blutzuckerwerte zu erreichen. Bitte orientiere dich an unserem Einstellungs-Protokoll.
  • Taurin: dazu gibt es noch keine Studie in Katzen. Es gibt aber viele Studien in diabetischen Ratten wo Taurin positive Auswirkungen auf das Krankheitsbild hatte. Taurin senkte in Tierstudien auch erhöhte Fettwerte im Blut. Erhöhte Fettwerte verhindern auch die normale Funktion der beta-Zellen. Da Taurin für Katzen (ob krank oder gesund) sowieso sehr wichtig ist, sie selber fast kein Taurin herstellen können und sie es im Rahmen ihrer diabetischen Krankheit ständig über die Nieren verlieren, ist eine zusätzliche Menge von Taurin höchstwahrscheinlich positiv.

3. Faktoren die eine Remission verlangsamen oder verhindern (nicht Insulin-spezifisch)

  • Trockenfutter in jeder Form: ob es billiges Felix ist, teures Hill's Science Plan oder noch teureres Royal Canin Diabetic. Das einzige wozu Trockenfutter taugt ist bei zu niedrigen Blutzuckerwerten die Werte schnell wieder ansteigen zu lassen.
  • Nassfutter mit zu vielen Kohlenhydraten: das gibt es auch. Man kann nicht einfach jedes Nassfutter nehmen, sondern muss es sorgfältig auswählen. Sossen sind hier besonders problematisch. Eine neue Studie in diabetischen Katzen zeigte, dass ein kohlenhydratarmes Nassfutter wesentlich mehr Remissionen zu Folge hatte als ein weniger kohlenhydratarmes Nassfutter.
  • Andere Krankheiten: Infekte (besonders Blase, Mund/Zähne), Probleme mit der Bauchspeicheldrüse, Schilddrüsenüberfunktion, großes Übergewicht, Probleme mit Nieren oder Leber und einige mehr reduzieren bzw. verändern den Effekt vom Insulin. Es lohnt sich bei jeder Katze ein großes Blutbild und eine gründliche Untersuchung beim Tierarzt machen zu lassen um andere Probleme auszuschließen oder behandeln lassen zu können. Eine ausführliche Liste von Untersuchungen die man machen lassen kann findet man hier.
  • Die Katze hat schon lange Diabetes: je länger die beta-Zellen kein Insulin produzieren, umso mehr verändern sie sich (Amyloide) und umso unwahrscheinlicher ist es, dass sie je wieder genug eigenes Insulin produzieren werden. Wo diese Grenze liegt weiß keiner genau, denn sie hängt von vielen Faktoren ab. Ein Hinweis liegt in unsere Forums-Studie zu Lantus: bei Katzen die in den ersten 6 Monaten nach der Diagnose mit dem Protokoll anfingen war die Remissions-Rate 84%. Bei Katzen die mit dem Protokoll später angefangen haben, also >6 Monate nach der Diagnose, war die Remissions-Rate 35%. Dieser Unterschied ist hochsignifikant. Ich würde mich durch eine lange Diabetes-Vergangenheit aber nicht entmutigen lassen. Wenn nicht grade eine Remission eintritt hat man zumindest eine Katze die optimal reguliert ist. Und besser regulierte Katzen haben im Allgemeinen eine höhere Lebenserwartung, da Folgeschäden minimiert werden.

4. Faktoren die eine Remission verlangsamen oder verhindern (Insulin-spezifisch)

  • Ein kurz wirkendes Insulin wie lente Caninsulin oder mittellang wirkende Insuline wie PZI: eine geringe Anzahl von neuen/mittellang diabetischen Katzen scheint in Remission zu gehen, egal was für ein Insulin sie bekommen. Aber die Mehrzahl von Katzen tut dies nicht.
  • Eine zu geringe Startdosis von Lantus
  • Eine zu zögerliche Anhebung der Dosis: wenn die Katze mehrere Wochen oder sogar Monate bei einer zu niedrigen Dosis verbringt, mag man ab und zu einen guten Wert messen. Aber Fortschritt Richtung gute Einstellung oder Remission macht man nicht. So eine Vorgehensweise produziert auch Folgeschäden.
  • "Dosis-Hopping": eine Dosis sollte in den meisten Fällen ohne tägliche Änderung gegeben werden (siehe Protokoll). Die Dosis sollte nur anhand von Nadir-Werten geändert werden - manchmal ist die Nadir zum Pre-Wert zu messen da Lantus sehr lange wirken kann. Zum Dosis-Hopping gehört auch von einer Dosis bei der die Katze einen physiologischen Pre-Wert hat auf 0 zu reduzieren um zu sehen ob man eine Remission hat. Dies funktioniert fast nie. Eine langsame Reduzierung der Dosis führt zu einer stabilen Remission.
  • Gegenregulation (Somogyi-Effekt)? Dieses Phänomen ist nie experimentell nachgewiesen worden. Es gibt lediglich eine Studie von 1986 an 6 Katzen. Hier wurde kein Hometesting gemacht, es wurden nur NPH oder PZI Insuline gespritzt, das Insulin wurde teilweise nur einmal täglich verabreicht, die Diät wurde nicht kontrolliert, usw. Ich bin mir sicher, so eine Studie würde heute von keinem guten Fachjournal akzeptiert werden. Leider wird diese Studie aber oft in der veterinärmedizinischen Literatur zitiert. Bei Lantus konnten wir in unserer Forums-Studie 2009 zeigen, dass dieser Effekt nicht existiert.
  • Reduzierung der Dosis weil "niedrigere Dosis bessere Werte": bei niedrigen Mengen von Insulin wie 0,5 IE beobachten manche Leute bessere Werte (z.B. 300er). Wenn die Dosis dann auf 1,0 IE erhöht wird, werden die Werte zum Pre höher (z.B. 400). In diesem Fall lohnt es sich das Trinkverhalten der Katze genau zu analysieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit trinkt die Katze bei der niedrigeren Dosis mehr - was ein Zeichen einer schlechteren Einstellung ist. Aussderem sind bei extremer Unterdosierung oft sehr flache, relativ hohe Kurven zu messen. Diesen Effekt habe ich mit Caninsulin bei meiner Tilly beobachtet. Also können die "besseren Werte" ein Symptom eines schlechteren statt besseren Gesundheitszustandes sein - Ketone sind dann der nächste Schritt.
  • Unterzuckerung, "better safe than sorry" und niedrige Pre-Werte: je kurzer ein Insulin wirkt, desto steiler sind meistens die Kurven. Bei Caninsulin sind Unterzuckerungen nicht selten und ein ernst zu nehmendes Problem. Wenn man sich die Ergebnisse dieser Studie zu Lantus, PZI und Lente (Caninsulin) durchliest sieht man, dass je länger ein Insulin wirkt desto unwahrscheinlicher ist das Vorkommen einer Unterzuckerung weil die Kurven einfach immer flacher werden. Keine Lantus Katze in der Studie hatte eine Unterzuckerung. Dr. Elizabeth Hodgkins, die zu PZI einen Artikel geschrieben hat, hat ein Protokoll in dem sie vorsichtig Dutzende von Katzen unter 100 und zur Remission gebracht hat, und sie erlebte auch noch nie eine Unterzuckerung. Lantus hat einen überlappenden Effekt bei zwei Spritzen pro Tag: es wirkt ja 24 Stunden lang. Lantus führt auch nicht nur zu Remissionen weil Katzen niedrige Nadirs und weniger steile Kurven haben, sondern auch weil die Höhe der Pres reduziert wird. Eine gesunde Katze hat Blutzuckerwerte zwischen 50 und 80. Unterzuckerung tritt also bei Werten unter 50 auf (und auch nicht genau ab 49 ;-)).

5. Einstellungsprotokoll für Lantus

Hier ist die aktuelle Version des Protokolls mit den 5 typischen Phasen die bei Katzen zu beobachten sind:

Einstellungsprotokoll für Lantus (und Levemir)

6. Was sagt mir diese Kurve?

Als letztes bitte ich noch alle die gelinkte Kurve anzusehen:

http://www.caninsulin.de/blutglukosekurve-katze-mgdl-p.asp

Eine ideale Caninsulin Kurve, wie vom Hersteller Intervet beschrieben. Es lohnt sich wirklich diese Kurve etwas länger zu studieren, denn dann versteht man warum die Remissions-Rate mit Caninsulin relativ niedrig ist. Die Katze verbringt nur etwa 2 bis 3 Stunden unter dem Nierenschwellenwert von 200-220 mg/dl (laut wissenschaftlicher Literatur ist der vom Hersteller hier genannter Nierenschwellenwert von 252 mg/dl zu hoch): 18 bis 20 Stunden am Tag müssen die Nieren unter hohem Stress Glukose ausscheiden. Außerdem hat die Katze jeden Tag 2 Mal richtig hohe Blutzuckerwerte, also Glukose-Toxizität. beta-Zellen leiden unter solchen Profilen sehr. Dagegen lieben beta-Zellen Nadirs die in der normalen 50 bis 80 Bereich liegen und Werte unter dem Nierenschwellenwert (also niedrige Pres). Der Hersteller selber spricht von einer Remissions-Rate von 25%. Das kommt mir ein wenig utopisch vor, denn in einer Caninsulin Studie in kontrollierten Laborbedingungen haben die Forscher nur 2 von 25 Katzen zur Remission gebracht (8%), und in einer zweiten Studie 2 von 8 Katzen (20%).

Ich hoffe, dass irgendwann der Tag kommt wo Lantus das erste Insulin sein wird was verschrieben wird und nicht das letzte, wenn alle anderen Insuline ohne Erfolg durchprobiert worden sind.

Alles Gute wünsche ich euch, euren Zuckerkatzen und allen beta-Zellen!

Autorin: Kirsten mit Tilly
Datum: Juli 2005, überarbeitet Februar 2011